U.v.Beckerath

 

17.12.1949.

Ihr Brief vom 14. cr.,

eingegangen heute.

 

Lieber Herr Dr. Picard,

 

gestern Abend kam ein Bezirks-Direktor einer Versicherungs-Gesellschaft zu mir, den die Direktion der AEG - - Allgemeine Elektrizitaets-Gesellschaft - - mal Weltfirma gewesen - - gebeten hatte, ihr Ratschlaege fuer die Pensionsrueckstellungen einer Anzahl ihrer Angestellten ( etwa 150 ) zu machen. Fragte mich, ob ich ihm dabei helfen wollte. Das musste ich ablehnen und zwar deshalb, weil bei Pensionsrueckstellungen die Steuern eine sehr viel groessere Rolle spielen als saemtliche versicherungs-technische Grundlagen. Ob man die alte Sterbetafel von Suessmilch anwendet oder eine moderne, einen Zins von 3% oder einen von 5%. die Invaliditaets-Tafel von Zimmermann mit ihrem nunmehr fast ein Jahrhundert altem Material oder eine moderne Tafel, mit Beruecksichtigung der Versicherungsdauer und sonstigen Finessen aufgestellt, das ist fast gleichgueltig gegenueber den Steuern. Hinzu kommt dann noch das Waehrungsrisiko, das allerdings in erster Linie die Pensionaere trifft, weniger den Arbeitgeber. Die ueberwiegende Bedeutung gerade der nicht-mathematischen Elemente erkannte mein Bekannter dann auch und wird der AEG entsprechend berichten. Was die Hoehe der Steuern anlangt, so kann man die aus den Steuergesetzen nicht ohne weiteres entnehmen. Das Wichtigste steht meistens in irgendwelchen Entscheidungen der Finanzbehoerden, in Gerichts-Entscheidungen. in Gutachten einer Handelskammer etc., wovon nur derjenige etwas erfaehrt, der am Orte wohnt und bestaendig mit den Sachen zu tun hat. Hier kaemen hessische Steuern in Frage und Bundessteuern, und wie die sich auswirken, das kann man von Berlin aus nicht erkennen.

      Die Rueckstellungen in Bundesanleihen, in Stadtanleihen, in Hypotheken und solchem Kram anzulegen, heisst heute einfach das Geld zum Fenster hinauswerfen. Ob eine Anlegung in Sachwerten (das kleinere Uebel, aber immerhin ein Uebel - - ca va sans dire - -) moeglich ist, das muss nun geprueft werden.

 

      An alles das dachte ich, als ich soeben Ihren Brief las. Dass Sie jetzt dabei sind, die Bedeutung der Waehrung fuer das Versicherungswesen so eingehend zu studieren, das hat mich sehr gefreut, und ich habe so 'ne Ahnung, als ob das der Schweizer Versicherungswirtschaft mal irgendwie zugute kaeme.

Haben Sie den Aufsatz von Prof. Riebesell in der "Versicherungswirtschaft" vom 15.8.1949 ueber das Waehrungsrisiko gelesen? Prof. R. ist der einzige Fachmann in Deutschland. der sich ernstlich mit dem Waehrungsrisiko beschaeftigt. Es koennte sein, dass in der Schweiz Sie der einzige sind.

 

Aber, nun zu Ihren Fragen :

l.) Ist der Waehrungsverfall in Laendern wie England nicht darauf zurueckzufuehren, dass diese Laender ueber ihre Verhaeltnisse leben?  d.h.. sie verbrauchen mehr als sie produzieren? Wenn ja, ist die Austerity-Politik der englischen Regierung dann nicht gerechtfertigt? Genau so, wie sich eine Privatperson einschraenken muss, wenn ihr Einkommen abnimmt.

Diese Frage fuehrt gleich mitten in die moderne Waehrungs-Theorie hinein. Ich will versuchen, sie zu beantworten.

 

Die aeltere Waehrungs-Theorie wuerde gesagt haben: Was hat die Lebenshaltung eines Landes mit seiner Waehrung zu tun? Kann das Meter dadurch schlechter werden, dass das Gemessene irgendwie nicht einwandfrei ist, kann das Zeitmass  Stunde in Verfall geraten dadurch, dass die Menschen ihre Stunden schlecht anwenden?

 

Ist es ein Einwand gegen die Stabilitaet der Kilowattstunde, wenn die Abnehmer - - wie in Berlin sehr haeufig - - ihr Kontingent ueberschreiten und dann allerlei Unannehmlichkeiten haben? Kann die KWSt. ueberhaupt durch irgendeinen Missbrauch gefaehrdet werden?

 

Das hoert sich mal zunaechst ein bisschen bloed an, aber: Ein Herzog von Wuerttemberg veraenderte - - es war im Mittelalter - tatsaechlich das Raummass, als ihm gewisse Holzlieferungen unbequem wurden, und behauptete,  dass die Wirtschaftslage des Landes das notwendig mache. Heute wuerde mancher Waehrungs-Theoretiker vielleicht sagen: Aber, der Herzog hatte ja ganz recht - - der Kubikfuss war eben durch die Wirtschaft in Verfall geraten!  Na - - der Herzog liess mit sich reden. Als die Holzzehnten der Bauern faellig wurden, da stellte er nicht nur den alten Kubikfuss (oder wie's damals hiess) wieder her, sondern vergroesserte ihn noch, und als die Bauern nicht entsprechend liefern wollten, da schickte er ihnen Soldaten auf den Hals. Die "Erfordernisse der oeffentlichen Wirtschaft" hatten sich eben wieder mal geaendert.

 

Das Zeitmass zu aendern war fuer manchen Pontifex Maximus nur ein Klax. Wenn ihm die Nase der Konsuln nicht gefiel, dann veraenderte er die Laenge des Jahres entsprechend, und die Konsuln  - - immer nur auf ein Jahr gewaehlt - - mussten abtreten. Mal verlaengerte auch der Pontifex Maximus die Laenge eines Jahres auf etwa 500 Tage (wenn ich's recht behalten habe) und entsprechend die Amtsdauer der Konsuln. Es galt als ein Beweis der ueberaus grossen Maessigung Julius Caesars, dass er - - als Pontifex - - freiwillig auf das Recht verzichtete, die Laenge des Jahres entsprechend "der politischen Lage" festzusetzen, und einen neuen Kalender einfuehrte. (Anm. von J.Z., 6.7.83:  Einige sehr verbreitete moderne Beispiele sind die Abkuerzungen der Wahlperioden und die Veraenderungen der Wahlbezirke durch die jeweiligen Regierungen, wenn immer sie sich davon einen Vorteil versprechen, und die Australische Regierung scheut auch vor rueckwirkender Gesetzgebung nicht zurueck!)

 

Dass Regierungen, die Raum-Masse und Zeit-Masse entsprechend den "gegebenen Verhaeltnissen" festsetzen, mit dem Wertmass nicht viel Umstaende rochen, ist nicht zu verwundern. Haeufige Abwertungen kennzeichnen die ganze antike und die mittelalterliche Geschichte. Die Masse zu fixieren war ja das selbstverstaendliche Privileg des Herrschers, warum sollte das Wertmass eine Ausnahme machen?

 

Mit den andern Massen wurden die Regierungen allerdings allmaehlich vorsichtig. Das Beispiel der Wuerttemberger, die ihren das Masswesen bestaendig "anpassenden" Herzog zum Teufel jagten, duerfte sehr dazu beigetragen haben, bei den Regierungen richtige Vorstellungen ueber die Zweckmaessigkeit stabiler Masse zu verbreiten.

 

Nebenbei: Die Einfuehrung der Sommerzeit scheint mir ein Beweis dafuer zu sein, dass die alte Mentalitaet noch keineswegs verschwunden ist. Allerdings koennten die Anhaenger der Sommerzeit zugunsten jener alten Mentalitaet anfuehren, dass hier durch eine Abaenderung am Zeitmass nach allgemeiner Meinung mehr Vorteile als Nachteile geschaffen worden sind, so dass die Forderung neuerer Theoretiker: "Politiker - - vergreift euch nicht an den Massen" als nicht ueberall berechtigt erscheint. (Ich bin fuer Konstanz der Masse auf allen Gebieten.)

 

Eroerterungen ueber das Wertmass sind deswegen schwierig, weil ja der Wert fuer jeden Menschen etwas anderes ist als fuer alle andern. Ich habe hier in Berlin einen gar nicht dummen Schriftsteller kennen gelernt, der in einer seiner Schriften behauptete; In Wirklichkeit gaebe es ueberhaupt keine Werte. "Wert" sei nur ein Vorurteil der Menschen, aehnlich wie der Donnergott der alten Religionen, der ja auch scheinbar durch die palpabelsten Tatsachen bewiesen ist, und doch existiert er nicht. Kennen lernte ich den Mann zur Nazizeit. Er prophezeite mir die Zerstoerung des Stadtviertels, in dem wir wohnten und fluechtete nach Koenigsberg. Er kam gerade zurecht, um die Zerstoerung Koenigsbergs zu erleben. Nachher habe ich nichts mehr von ihm gehoert.

Erst lange nachher begriff ich, was er eigentlich meinte. Der Mann war Krypto-Kommunist, und der Kommunismus erklaert:  Der Einzelne hat nicht das Recht, etwas zu bewerten; das ist ein Privileg der "Gesellschaft", d.h. der Regierung.

 

Die mathematische Volkswirtschaftslehre zeigt, dass allen individuellen Bewertungen etwas Gemeinsames zum Grunde liegt, und die Erfahrung zeigt, dass das Bewerten dem Menschen so natuerlich ist wie das Atmen. Die Theorie geht dann weiter von der Tatsache aus, dass fuer einen Robinson eine Wertskala nicht weniger besteht als fuer einen Grosskaufmann, und fuer zwei Robinsons demonstriert die Theorie schon, dass wenn sie miteinander in einen Tauschverkehr treten, sie sich zuletzt auf ein bestimmtes Gut als ein Wertmass einigen, welches dann das  Geld ihres Tauschverkehrs wird. Die mathematischen Erklaerungen  Launhardt's  darueber haben mir besonders gut gefallen. (Dass der Launhardt so ganz vergessen ist!)

 

Im Laufe des 19-ten Jahrhunderts hat sich der Wert des Goldes als das fuer unsere wirtschaftlichen Verhaeltnisse beste Wertmass erwiesen.

Allerdings haben einige Theoretiker - - der bedeutendste von ihnen Irving Fisher - - behauptet : Die Erfahrung hat gerade erwiesen, dass das Gold kein gutes Wertmass ist, denn seine Kaufkraft schwankt ja, und in welchem betraechtlichen Ausmass, das hat erst die Theorie der Indexzahlen demonstriert. Die Kaufkraft aber i4 das, was dem Golde eigentlich seinen Wert gibt. Das Ideal ist eine Geldeinheit von stabiler Kaufkraft.

Hiergegen haben sich aber mehrere Wissenschaftler von Rang gewendet. Einer von ihnen war Jevons. Der hat zwar ein paar Jahrzehnte vor Irving Fisher gelebt, aber die Argumente des Fisher waren ja lange vor ihm bekannt, nur nicht so gut mathematisch formuliert. Jevons sagt dem Sinne nach:  Leute - - haltet doch den Durchschnittsmenschen nicht fuer so dumm oder so utopisch!  Der will gar kein Wertmass von konstanter Kaufkraft. Er weiss so gut wie der Bauer, dass der Arbeitsertrag unmoeglich konstant sein kann und vom Wetter und allerlei Zufaellen abhaengt. Auch, dass bei knappem Arbeitsertrag, z.B. bei knapper Ernte, die Preise steigen muessen, das begreift er vollkommen, und wenn man ihm berichtet, die Regierung habe etwas erfunden, um diese natuerliche Auswirkung zu beseitigen, dann wird er misstrauisch. Wenn man ihm die Freiheit dazu einraeumt, dann schliesst er alle Vertraege in Gold ab, bzw. auf der Grundlage von Goldwert, verlangt Loehne in Goldwert, Preise, Mieten etc. in Goldwert. Sogar der Arbeitgeber ist geneigt, Goldwert-Loehne zu bewilligen, wenn ihm das Risiko klar gemacht wird, bei knappen Ernten immer so viel an Lebensmitteln liefern zu muessen, wie bei reichlichen Ernten. "Das kann mich pleite machen - - sagt er ganz richtig - - "der politischen Lage" festzusetzen, und einen neuen Kalender einfuehrte. (Anm. von J.Z., 6.7.83:  Einige sehr verbreitete moderne Beispiele sind die Abkuerzungen der Wahlperioden und die Veraenderungen der Wahlbezirke durch die jeweiligen Regierungen, wenn immer sie sich davon einen Vorteil versprechen, und die Australische Regierung scheut auch vor rueckwirkender Gesetzgebung nicht zurueck!)

 

Dass Regierungen, die Raum-Masse und Zeit-Masse entsprechend den "gegebenen Verhaeltnissen" festsetzen, mit dem Wertmass nicht viel Umstaende rochen, ist nicht zu verwundern. Haeufige Abwertungen kennzeichnen die ganze antike und die mittelalterliche Geschichte. Die Masse zu fixieren war ja das selbstverstaendliche Privileg des Herrschers, warum sollte das Wertmass eine Ausnahme machen?

 

Mit den andern Massen wurden die Regierungen allerdings allmaehlich vorsichtig. Das Beispiel der Wuerttemberger, die ihren das Masswesen bestaendig "anpassenden" Herzog zum Teufel jagten, duerfte sehr dazu beigetragen haben, bei den Regierungen richtige Vorstellungen ueber die Zweckmaessigkeit stabiler Masse zu verbreiten.

 

Nebenbei: Die Einfuehrung der Sommerzeit scheint mir ein Beweis dafuer zu sein, dass die alte Mentalitaet noch keineswegs verschwunden ist. Allerdings koennten die Anhaenger der Sommerzeit zugunsten jener alten Mentalitaet anfuehren, dass hier durch eine Abaenderung am Zeitmass nach allgemeiner Meinung mehr Vorteile als Nachteile geschaffen worden sind, so dass die Forderung neuerer Theoretiker: "Politiker - - vergreift euch nicht an den Massen" als nicht ueberall berechtigt erscheint. (Ich bin fuer Konstanz der Masse auf allen Gebieten.)

 

Eroerterungen ueber das Wertmass sind deswegen schwierig, weil ja der Wert fuer jeden Menschen etwas anderes ist als fuer alle andern. Ich habe hier in Berlin einen gar nicht dummen Schriftsteller kennen gelernt, der in einer seiner Schriften behauptete; In Wirklichkeit gaebe es ueberhaupt keine Werte. "Wert" sei nur ein Vorurteil der Menschen, aehnlich wie der Donnergott der alten Religionen, der ja auch scheinbar durch die palpabelsten Tatsachen bewiesen ist, und doch existiert er nicht. Kennen lernte ich den Mann zur Nazizeit. Er prophezeite mir die Zerstoerung des Stadtviertels, in dem wir wohnten und fluechtete nach Koenigsberg. Er kam gerade zurecht, um die Zerstoerung Koenigsbergs zu erleben. Nachher habe ich nichts mehr von ihm gehoert.

Erst lange nachher begriff ich, was er eigentlich meinte. Der Mann war Krypto-Kommunist, und der Kommunismus erklaert:  Der Einzelne hat nicht das Recht, etwas zu bewerten; das ist ein Privileg der "Gesellschaft", d.h. der Regierung.

 

Die mathematische Volkswirtschaftslehre zeigt, dass allen individuellen Bewertungen etwas Gemeinsames zum Grunde liegt, und die Erfahrung zeigt, dass das Bewerten dem Menschen so natuerlich ist wie das Atmen. Die Theorie geht dann weiter von der Tatsache aus, dass fuer einen Robinson eine Wertskala nicht weniger besteht als fuer einen Grosskaufmann, und fuer zwei Robinsons demonstriert die Theorie schon, dass wenn sie miteinander in einen Tauschverkehr treten, sie sich zuletzt auf ein bestimmtes Gut als ein Wertmass einigen, welches dann das  Geld ihres Tauschverkehrs wird. Die mathematischen Erklaerungen  Launhardt's  darueber haben mir besonders gut gefallen. (Dass der Launhardt so ganz vergessen ist!)

 

Im Laufe des 19-ten Jahrhunderts hat sich der Wert des Goldes als das fuer unsere wirtschaftlichen Verhaeltnisse beste Wertmass erwiesen.

Allerdings haben einige Theoretiker - - der bedeutendste von ihnen Irving Fisher - - behauptet : Die Erfahrung hat gerade erwiesen, dass das Gold kein gutes Wertmass ist, denn seine Kaufkraft schwankt ja, und in welchem betraechtlichen Ausmass, das hat erst die Theorie der Indexzahlen demonstriert. Die Kaufkraft aber i4 das, was dem Golde eigentlich seinen Wert gibt. Das Ideal ist eine Geldeinheit von stabiler Kaufkraft.

Hiergegen haben sich aber mehrere Wissenschaftler von Rang gewendet. Einer von ihnen war Jevons. Der hat zwar ein paar Jahrzehnte vor Irving Fisher gelebt, aber die Argumente des Fisher waren ja lange vor ihm bekannt, nur nicht so gut mathematisch formuliert. Jevons sagt dem Sinne nach:  Leute - - haltet doch den Durchschnittsmenschen nicht fuer so dumm oder so utopisch!  Der will gar kein Wertmass von konstanter Kaufkraft. Er weiss so gut wie der Bauer, dass der Arbeitsertrag unmoeglich konstant sein kann und vom Wetter und allerlei Zufaellen abhaengt. Auch, dass bei knappem Arbeitsertrag, z.B. bei knapper Ernte, die Preise steigen muessen, das begreift er vollkommen, und wenn man ihm berichtet, die Regierung habe etwas erfunden, um diese natuerliche Auswirkung zu beseitigen, dann wird er misstrauisch. Wenn man ihm die Freiheit dazu einraeumt, dann schliesst er alle Vertraege in Gold ab, bzw. auf der Grundlage von Goldwert, verlangt Loehne in Goldwert, Preise, Mieten etc. in Goldwert. Sogar der Arbeitgeber ist geneigt, Goldwert-Loehne zu bewilligen, wenn ihm das Risiko klar gemacht wird, bei knappen Ernten immer so viel an Lebensmitteln liefern zu muessen, wie bei reichlichen Ernten. "Das kann mich pleite machen - - sagt er ganz richtig - - waehrend ein Goldwertlohn mir zwar unbequem werden kann, mich aber nicht pleite macht. Freilich - - ein Papiergeldlohn, der bestaendig an Kaufkraft verliert, der ist mir noch bequemer." (Und gerade den sollst du nicht haben, sagt der verstaendige Arbeitnehmer, bleiben wir beim ehrlichen Goldwert!) Entsprechendes gilt fuer das Verhaeltnis zwischen Mieter und Hauswirt, Kaeufer und Ladenbesitzer und sogar zwischen Staat und Steuerzahler, wenn sie beide ehrlich bleiben wollen.

 

      Laesst man das Gold als das beste Wertmass gelten und fuehrt es ein, so verliert die Frage: Kann eine Nation durch ein zu gutes Leben die Waehrung gefaehrden? ihren Sinn.

      Nehmen wir einen extremen, nur in der Theorie moeglichen Fall. Eine Nation isst ihre gesamte Ernte, die auf ein Jahr reichen sollte, in ein paar Tagen auf. Aus ihren saemtlichen Bedarfsartikeln aber macht die Nation in ihrem Uebermut ein grosses Feuerwerk und amuesiert sich ein paar Tage lang recht gut dabei. Eine solche Nation hat bestimmt ueber ihre Verhaeltnisse gelebt. Was geschieht aber nun mit ihrer Waehrung?

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3.5.1950.

 

So weit war ich mit dem Brief gekommen, als mich irgendeine Stoerung zwang, ihn zu unterbrechen. Dann kam Kaelte - - mein schlimmer Feind - - dann Krankheit, und dann monatelange Passivitaet. Jetzt geht mir's wieder besser: Gestern 22 Grad im Schatten, heute immerhin 14. Es heisst jetzt: die paar Wochen bis zum naechsten Winter ausnutzen. Ich fahre fort:

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      Die Waehrung der Nation bleibt ganz unveraendert, aehnlich wie Meter, Sekunde und Kilowattstunde bei groesster Verschwendung derer, die sie anwenden, unveraendert bleiben. Voraussetzung ist nur, dass irgendein Sachwert als Wertmass zum Grunde liegt. Die Kaufkraft der Waehrungseinheit allerdings z.B. der Goldstuecke, die wird sich durch die angenommene Verschwendung sehr geaendert haben.

      Lebensmittel werden eine Zeitlang sehr teuer sein, und es kann sehr wohl sein, dass manche sie gar nicht bezahlen koennen. Die muessen dann hungern oder gar verhungern. Die Waehrung bleibt aber immer noch unveraendert, es sei denn, die Regierung nimmt Eingriffe daran vor, bestimmt etwa, dass anstatt des Goldes jetzt Papiermark Zwangskurs haben soll, oder sie praegt aus einem Kilo Gold mehr Goldstuecke aus als vorher und befiehlt, dass die neuen, kleinen Goldstuecke ebensoviel zu gelten haben wie die alten. Es waere keine gute Politik, ausserdem aber staenden die Massnahmen der Regierung zu dem, womit sie begruendet werden, nicht im Verhaeltnis von Ursache zu Wirkung, sondern von Motiv zu Handlung. Das ist ein ganz gewaltiger und grundsaetzlicher Unterschied.

      Knappheit und Teuerung stehen im Verhaeltnis von Ursache zu Wirkung. Wieso? Bei Knappheit da scheiden diejenigen Verkaeufer aus dem Markt aus, die ohne die Knappheit billig verkauft haetten. Es scheiden auch diejenigen Kaeufer aus, die nur niedrige Preise bezahlen wollen oder koennen. Uebrig bleiben diejenigen Verkaeufer, die zu hohen Preisen verkaufen und diejenigen Kaeufer, die hohe Preise anlegen koennen und wollen. Der Entschluss der Einzelnen spielt dabei keine groessere Rolle als beim Atmen der Entschluss dazu oder beim Stoffwechsel der Entschluss, auf den Lokus zu gehen.

 

      Bei Waehrungsveraenderungen aber da muss sich die Regierung die Sache  ueberlegen, und wenn sie es sich recht ueberlegt hat, dann muss sie einen Entschluss fassen, muss ihn auch da, wo ehrlich regiert wird, vor den Untertanen begruenden. Es kann sehr wohl sein, dass die Regierung die Waehrung laesst, wie sie ist, keine Abwertung vornimmt, keine Inflation und das Gold als Wertmesser beibehaelt. Die Regierung bleibt dann bei der alten, bewaehrten Lehre: Bei Knappheit sind hohe Preise das Beste, am raschesten wirkende und jedenfalls schmerzloseste Mittel um Produktion und Handel anzuregen, den Status quo wiederherzustellen. Bei genuegend hohen Preisen, da werden sogar die Vorgaerten in den Grossstaedten mit Kohlkoepfen bepflanzt, und manche halten sich in ihren Wohnungen Kaninchen, so viel Unstaende das auch macht. Wie das hilft, das haben ja die letzten Jahre in Deutschland gezeigt. Lebensmittel sind jetzt - - in Gold gerechnet

 

(Hier sind einige Zeilen in meiner Photokopie abgeschnitten S J.Z. 6.7.83.)

 

 Deutschland hat durch ihren Ernaehrungsminister Niklas verkuenden lassen, dass (es! J.Z.) sie einen Zollschutz fuer die West-Deutsche Landwirtschaft erwaege, mit aendern Worten also: eine Selbstblockade, nachdem wir die Blockade durch den Feind losgeworden sind. (ueber die Selbst-Blockade Berlins zum "Schutz" gegen die billigen Preise im Ostsektor hoffe ich noch schreiben zu koennen. Es ist ganz toll. Wo noch vor einem Jahr Russen standen, um die Ausfuhr aus dem Ostsektor nach den Westsektoren zu verhindern, da stehen jetzt West-Polizisten, um die Einfuhr aus dem Osten zu verhindern. Alle Parteien West-Berlins billigen das!) Die Produktivitaet der westdeutschen Landwirtschaft einschl. der Gaertnerei  hat sich tatsaechlich so gehoben, dass ...

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 440 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 1421-1423.